“Da entstehen Sachen, die ich teilweise nicht für möglich gehalten hätte” –  Ein Porträt des Fachbereichs Darstellendes Spiel an unserer Schule
“Da entstehen Sachen, die ich teilweise nicht für möglich gehalten hätte” – Ein Porträt des Fachbereichs Darstellendes Spiel an unserer Schule

“Da entstehen Sachen, die ich teilweise nicht für möglich gehalten hätte” – Ein Porträt des Fachbereichs Darstellendes Spiel an unserer Schule

Schultheater – Amateure auf der Bühne oder doch mehr? Was Schultheater erreichen kann, wo es uns berührt und warum wir so viel mehr davon brauchen.
– Im Gespräch mit Susanne Lorenzen

1990 wurde am Arndt-Gymnasium das erste Theaterstück aufgeführt: “Die Physiker” von Dürrenmatt. Im Laufe der Jahre fanden weitere Aufführungen wie “Ödipus” nach Sophokles, “Viel Lärm um nichts” nach Shakespeare oder “Grimms Sieben”, eine Märchenvariation, statt und obwohl man meinen könnte, dass das Fach Darstellendes Spiel an unserer Schule mittlerweile als selbstverständlich angesehen wird, bleibt es eine Besonderheit und hat seinen Charme bislang nicht verloren. Erste Erfahrungen mit dem Theater-Unterricht kann man bereits in der siebten Klasse im WäB-Unterricht machen, wobei man sich dafür beim Auswahlverfahren für die Werkstattklasse bewerben muss. In jungen Jahren heißt der Unterricht noch nicht DS, sondern WäB, was für “Werkstatt ästhetische Bildung” steht und dreistündig die Woche unterrichtet wird. Ziel des Unterrichts ist es, gemeinsam mit den Schüler*innen ein Projekt, in Form eines Stückes, einer Filmproduktion oder einer musikalischen Performance, zu erarbeiten. Dabei ist das Zusammenspiel von Schauspiel, Musik und Kunst zentral und soll den Schüler*innen möglichst viel Freiraum beim Entdecken von Sprach-, Bühnen- und musikalischer Nutzung bieten. Stücke, die bereits von 7.-9. Klässler*innen aufgeführt wurden, sind unter anderem “Krieg der Knöpfe”, “Peer Gynt”, “Die Dreigroschenoper” oder “Frau Müller muss weg” und zeigen, dass selbst die Kleineren theateraffin sind!

In der 10. Klasse wird das Spektrum dann erweitert, sodass auch A-, B- und G-Schüler Theater als Wahlpflichtfach wählen können. Nun heißt es nicht mehr WäB, sondern DS, also Darstellendes Spiel, und konzentriert sich vorrangig auf das reine Theater. Allerdings wird das Schuljahr nicht mit einem Stück abgeschlossen, da erst die Grundlagen des Theater-Spielens erarbeitet werden müssen. Wie bewege ich mich auf der Bühne? Welche Sprecharten gibt es? Welche theatralen Mittel gibt es und wie kann ich sie einsetzen? Anhand dieser Fragen und vielen praktischen Unterrichtseinheiten, in denen man sich im Raum bewegt, kleine Filme dreht oder Situationen nachspielt, erfahren die Schüler*innen nach und nach, was sich hinter dem Begriff Theater verbirgt und lernen auch Bereiche der Postdramatik, also des modernen Theaters, kennen. Auch wenn DS wohl eines der praxisorientiertesten Fächer ist, so muss auch in diesem Fach eine Klausur geschrieben werden, in der ein Theaterstück analysiert oder rezensiert wird. Allerdings kann die Lehrkraft auch Ersatzleistungen einfordern, bei denen die Schüler*innen statt eine Klausur zu schreiben, eine Szene erarbeiten oder bspw. eine Rede theatral umsetzen.

Nach der 10. Klasse hat man dann zum letzten Mal die Wahl, ob man vollkommen in die Welt des Theaters einsteigen will, denn in der Oberstufe wird DS als regulärer Kurs angeboten, der statt Musik und Kunst gewählt werden kann. Diejenigen, die nicht Teil der WäB-Klasse waren und in der zehnten Klasse lediglich Grundlagenarbeit gemacht haben, erarbeiten nun zum ersten Mal gemeinsam als Kurs ein Stück, das am Ende des Schuljahres aufgeführt wird. In diesem Jahr führte der Q4 Kurs von Frau Lorenzen eine Collage der Metamorphosen auf, während der Q2-Kurs die Komödie “Was ihr wollt” von Shakespeare auf die Bühne brachte. Für viele Schüler*innen ist der DS-Unterricht in der Oberstufe der spannendste; ein Stück zu erarbeiten ist zwar sehr aufwändig, ist jedoch als praxisorientierter Kurs gleichzeitig eine willkommene Abwechslung zu den sonst sehr theoretischen Fächern, wie Mathematik oder Politik. Mittlerweile gibt es fast jedes Jahr eine Präsentationsprüfung oder 4. PK, bei der die betreffenden Schüler*innen sich mit einer problemorientierten Leitfrage auseinandersetzen und diese theatral auf der Bühne inszenieren.

„…ich behaupte…, dass das Theaterspiel eines der machtvollsten Bildungsmittel ist, die wir haben:
Ein Mittel, die eigene Person zu überschreiten, ein Mittel der Erkundung von Menschen und Schicksalen und ein Mittel der so gewonnenen Einsicht.“, schreibt Hartmut von Hentig 1996 in einem seiner Essays. Über das Theater als Bildungsmittel habe ich mit Susanne Lorenzen gesprochen, die seit etlichen Jahren Lehrerin und Fachbereichsleiterin des Fachs “Darstellendes Spiel” an unserer Schule ist!

Frau Lorenzen studierte Russisch, Latein und Gräzistik, wobei sie die beiden letzteren Fächer seit 1996 am Arndt-Gymnasium unterrichtet. Damals gab es den DS Fachbereich bereits an unserer Schule und Herr Harro Pischon war die einzige Lehrkraft, die seit 1990 Theater unterrichtete. Er war derjenige, der Frau Lorenzen dazu animierte, von 1999 bis 2001 neben der Arbeit die Ausbildung zur Theater-Lehrerin zu machen, sodass Frau Lorenzen 2001 die Qualifikation durch die vom Senat festgelegte Weiterbildung erwarb, die später auch Frau Martens und Frau Kao, unsere anderen Lehrkräfte für Theater, absolvierten. “Ich ging schon immer gern ins Theater und mochte diese Kunstform sehr. Es hat nur der nötige Impuls gefehlt. Durch das Zutrauen des Fachkollegen bin ich dann schließlich zur DS-Lehrerin geworden und brenne noch heute für das Fach!”

Natürlich stellte sich mir die Frage, was Frau Lorenzen an ihrem Fach denn so gefällt: “DS ist ein Fach, bei dem man auf ganz andere Weise mit den jungen Leuten in Kontakt kommt.” Es spreche nicht nur den kognitiven Bereich an, sondern auch das seelische Einfühlungsvermögen. Man lerne, seine Umgebung wahrzunehmen und welche körperlichen Ausdrucksformen es gebe. Dies sei in Kombination sowohl für die Lehrkraft, als auch für die Schüler*innen eine große Bereicherung, von der man auch jenseits der Schule profitieren könne. “Es berührt mich immer sehr, zu sehen, wie die Schüler*innen sich entwickeln und über sich hinauswachsen!” Jeder habe eine ganz eigene Form des Auftretens und eine besondere Persönlichkeit, die den Unterricht so facettenreich machen würden. Und aus diesem Grund würde das Unterrichten auch nie langweilig. Auch wenn die Grundlagenarbeit immer die Gleiche bleibe, hätte man über die Jahre genügend Material zu Aufwärm- oder Stimmübungen zusammengesammelt, sodass der Unterricht variantenreich sei. “Vor allem aber, mache ich die Arbeit immer mit anderen Gesichtern. Das ist extrem spannend, denn jeder Schüler bringt seine ganz eigene Note mit rein!”

Letzte Woche wurde das Stück “Woyzeck” nach Georg Büchner von Frau Martens Q3 DS-Kurs aufgeführt. Es war eine Szenencollage, die den Zustand Woyzeck in die Moderne versetzte, untermalt mit variantenreicher Musik und Textfetzen aus dem Original. Einen großen Kontrast dazu bildete die Komödie “Was ihr wollt” von William Shakespeare, die von Frau Lorenzens DS-Kurs in Q2 aufgeführt wurde: Liebe, Verwechslung, ein rappender Narr und zwei Betrunkene, die sich für Laufstegmodels hielten, sorgten im Publikum für zahlreiche Lacher. Wie entwickelt man ein Stück und was muss man dabei beachten? Zuerst einmal müsse eine gewisse Basis gelegt werden, ohne die man nicht arbeiten könne. Bei der Stückfindung könne man auf verschiedene Methoden zurückgreifen, wobei Frau Lorenzen in Q1/Q2 meist eine Komödie spiele, da man damit viele Schüler*innen begeistern könne. Es sei zwar möglich, dass auch Schüler*innen Vorschläge machen, doch dies würde meist nicht funktionieren. “Normalerweise überlege ich mir dann ein Projekt, versuche jedoch eine Vision zu vermeiden und den Stücken zu begegnen, ohne ein klares Bild vor Augen zu haben, denn jede Gruppe setzt besondere Schwerpunkte und macht das Stück schließlich zu ihrem eigenen.” Allerdings sei es manchmal ganz ratsam, sich von echtem Theater inspirieren zu lassen, denn wie auch das professionelle Theater, habe sich das Schultheater verändert, sei stark beeinflusst von der Postdramatik, habe heute einen höheren Abstraktionsgrad und sei weniger konventionell. “Dies empfinde ich als eine sehr positive Entwicklung und versuche natürlich, am Ball zu bleiben und das, was mir die neuen Kollegen beibringen, auch mit in den Unterricht zu nehmen!”

Apropos: Was ist eigentlich das Besondere an Schultheater im Vergleich zu professionellem Theater? Frau Lorenzen erzählte, dass sie sich diese Frage selber auch oft stelle. Offensichtlich sei, dass das Schultheater eine pädagogische Seite habe, doch wie äußert sich diese? Im DS-Unterricht lernt man früh, wie Gruppen- und Teamarbeit funktioniert; man präsentiert oft und es entwickelt sich eine ganz eigene Dynamik in der Gruppe. Jeder darf mal den Regisseur spielen und merkt, dass ein Lernprozess Durchsetzen und Hinnehmen beinhaltet. Dies sei sehr kostbar, da DS als Fach auf die Persönlichkeit des Lernenden angelegt sei. Man lerne, sich künstlerisch auszudrücken und Körpersprache zu lesen. Das professionelle Theater hat diese pädagogische Seite nicht. Dafür könne es manche Dinge gestalten, die in der Schule – vor allem aus technischen Gründen -nicht umzusetzen seien. Schultheater ist „armes Theater“, es muss mit begrenzten Mitteln arbeiten und fordert damit umso mehr zur Kreativität heraus. Auch das Publikum sei ein anderes. Das Schultheater habe keine Profischauspieler, aber arbeite mit Menschen, die noch in der Entwicklungsphase seien. Man sehe den Menschen hinter den Figuren auf der Bühne: “Mich berühren alle, auch wenn manche besser spielen, weil jeder eine Entwicklung macht. Es ist sehr kostbar, das Wesen der Schüler*innen auf der Bühne zu sehen und auch wenn sie in andere Rollen schlüpfen, ist ihre Person noch stark fühlbar!”, sagt Frau Lorenzen.

Was ist das Besonderste, was Sie in all den Jahren erlebt haben?, wollte ich wissen: “Das sind immer die Momente, in denen ich die Kontrolle loslasse.” Wenn die Gruppe eine gewisse Unzufriedenheit ausstrahlen würde und in eine andere Richtung gehen möchte. Die Schüler*innen seien dann von gewissen Sachen geprägt, die sie unbedingt mit einfließen lassen wollen würden, was einen sehr überraschen könne. “Da entstehen manchmal Ergebnisse, die ich nie für möglich gehalten hätte; Momente, die mich nicht mehr loslassen!” Das gehe aber nur, wenn die Schüler*innen wirklich wollen würden. Dann müsse man es auch zulassen, erzählt sie.

Zum Abschluss: Was ist DS in drei Worten für Sie? – “Aufregend, Spannend, Herausfordernd und kreativ!” Na gut, das sind genau genommen vier Worte, aber lassen wir es mal zählen. Denn DS ist so facettenreich, dass es sich schwer auf wenige Worte reduzieren lässt und wenn ihr euch jetzt immer noch die Frage stellt, warum ihr DS wählen solltet, dann habt ihr wohl wirklich nicht aufgepasst: “DS ist für jeden eine Erfahrung, die er so in seinem Leben wahrscheinlich nicht mehr machen kann. Man lernt, sich in einer Gruppe sichtbar zu machen und auch, wie man sich vor den anderen überwinden kann.”, so Frau Lorenzen .Als DS-Schüler*innen würden wir lernen, Grenzen zu überschreiten. Schlussendlich sei es eine unglaubliche Freiheit, “mal jemand anderes sein zu dürfen!”; DS ist eine einmalige Erfahrung, die sich für jeden lohnt – auch für dich!

Luise Dahns

Quellen:
https://arndt-gymnasium.de/faecher/fach-darstellendes-spiel-theater/

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