Mängel des deutschen Schulsystems – Frau Fleischer im Gespräch
Mängel des deutschen Schulsystems – Frau Fleischer im Gespräch

Mängel des deutschen Schulsystems – Frau Fleischer im Gespräch

Wir haben uns mal umgehört, was euch Schüler*innen so interessiert und ein Thema ist uns da ganz besonders aufgefallen: Lehrer*innen- Interviews… 

Ich habe mich mit Frau Fleischer zusammengesetzt. Sie unterrichtet Mathe, Geschichte und Politik an unserer Schule und hat im letzten Schuljahr ihr Referendariat beendet. Im Interview hat sie sich fröhlich und offen präsentiert! Jede*r, der Frau Fleischer aus dem Unterricht kennt, weiß, dass sie ihre Schüler*innen gerne mal “Schatzis”, “Mäuschen” oder “Schnuckis” nennt. Das liegt aber keinesfalls daran, dass sie uns alle süß findet, im Gegenteil nutzt sie die Namen gerade dann, wenn sie jemanden zurechtweisen möchte: “Ich persönlich finde Ausschimpfen immer nicht so schön. Da verwende ich lieber überspitzte Kosenamen. Dann können die Schüler*innen im Nachhinein selbst über die Situation lachen.”

Eine andere Sache, für die wir Frau Fleischer nur allzu gut kennen, ist ihre Faszination für Bauernhöfe. Sie ist, wie viele von uns, ein Stadtkind, das fernab der Bauernhöfe mit Kühen und der guten Landluft aufwuchs. Doch woher rührt diese Liebe zum Landleben? “Als Stadtkind habe ich wirklich nie darüber nachgedacht, wie gewisse Dinge funktionieren; wie komplex das ganze Landleben eigentlich ist. Wenn wir im Supermarkt stehen, dann denken wir nicht groß darüber nach, welchen Weg die Milch hinter sich hat. Wir packen sie einfach ein und gehen zur Kasse, um sie zu bezahlen. Auf dem Land beeinflusst das Wetter Vieles; das hat mich sofort fasziniert. Wenn die Wassertränken zum Beispiel zugefroren sind, können die Kühe nichts trinken. Auch der Ackerboden kann kaum bearbeitet werden, wenn über Nacht Frost kommt. Hinzukommt, dass ich schon immer gerne gegessen habe und die besten Lebensmittel gibt es nun mal auf dem Land!” Bei dieser Antwort wundert es einen nicht, dass Frau Fleischer große Lust hat, mit unserer Klasse aufs Land zu fahren. 

Auf die Frage Was nervt Sie denn an uns Schüler*innen besonders?, hat Frau Fleischer geantwortet, dass es eigentlich ziemlich wenig gäbe, was sie störe. Wichtig aber sei ihr, dass Schüler*innen den Lehrer*innen immer als Menschen begegnen und versuchen, sich auch mal in deren Situation hineinzuversetzen. “Wenn eine Klassenarbeit geschrieben wurde, dann ist das Korrigieren immer sehr zeitintensiv. Das kann dann schon mal etwas länger dauern mit dem Zurückgeben. Schüler*innen, die einem dann entnervt begegnen, sollten ihre Haltung überdenken. Und es stört mich wirklich, wenn ich nach den mündlichen Noten gefragt werde. Das kann sich doch jeder zusammenreimen.”

Wo wir schon beim Thema Klassenarbeiten und Noten sind, Was ist denn der kreativste Schummel-Trick, der ihnen je unter die Augen gekommen ist?, wollte ich wissen. Einige Schüler*innen seien wohl so clever, sich den Spickzettel hinter das Etikett einer Wasserflasche zu kleben. “Aber besonders niedlich finde ich es immer, wenn meine Schüler*innen absichtlich falsche Antworten mit abschreiben oder sie nicht darauf achten, dass ihr Partner/ ihre Partnerin die Klassenarbeit A hat, während man selbst Arbeit B vor sich liegen hat.” Also passt das nächste Mal auf, wenn ihr schon unbedingt abschreiben müsst. Kleiner Tipp: Selber lernen ist immer der bessere und sicherste Weg, vor allem auch, um sich die Dinge für später zu merken. Dagegen kommt keine präparierte Wasserflasche an…

Seien wir doch mal ehrlich, es ist schwer vorstellbar, dass die Lehrer*innen auch mal die Schulbank drücken mussten. Und trotzdem gab es eine Zeit, als die damalige Nina selbst in der Schule saß und das Verb ‘regarder’ im Futur Simple konjugieren oder eine quadratische Gleichung vorne an der Tafel lösen musste. Aber was für eine Schülerin war Frau Fleischer denn? Und wie hat sich ihre Schulzeit von der heutigen unterschieden? “In der Schule war ich immer aufmerksam und habe mich viel am Unterrichtsgeschehen beteiligt. Daher konnte ich mir auch erlauben, zu Hause faul zu sein, weil ich die Unterrichtszeit immer effektiv genutzt habe. Frech war ich eigentlich nicht und wurde auch nie rausgeworfen. Übrigens, wenn jemand mit mir während des Unterrichts quatschen wollte, dann konnte ich ganz schön biestig werden. Schließlich musste ich mich ja konzentrieren…” Laut Frau Fleischer hat sich ihre Jugend sehr von der heutigen unterschieden. Sie sagt, dass man damals weniger vernetzt gewesen wäre, durch die Rarität der digitalen Medien. Dafür sei man oft selbst tätig geworden: “Ich habe mir damals meinen Rechner selbst zusammengeschraubt. Das waren noch Zeiten. Ich denke, heute spielt bei vielen Schüler*innen auch der Kleidungsstil eine große Rolle; es scheint viel wichtiger geworden zu sein, wie man sich präsentiert und was man anzieht. Bei uns war das damals nicht so ausgeprägt. Deswegen kann ich auch über viele Fotos aus der Jugend lachen:)”. Auch hätten alle bessere Kommunikationsmethoden gehabt, da man sich über die Telefone nur kurze Nachrichten schreiben konnte. “Heute ist das alles ein bisschen anders.”, so Frau Fleischer.

Was mich natürlich interessiert hat: Wie ist es dazu gekommen, dass sie Mathe, Geschichte und Politik unterrichten?” Mathe war für mich eigentlich schon immer klar. Ich habe damals in der 11. Klasse auch privat Nachhilfe gegeben. Eigentlich wollte ich zusätzlich noch Kunstlehrerin werden, doch mit dem Studienplatz hat es leider nicht geklappt. Als ich dann durch Zufall in eine Geschichts-Vorlesung gestolpert bin, hat mir das super gut gefallen. Also habe ich Geschichte studiert! Politik darf übrigens jeder Geschichtslehrer/ jede Geschichtslehrerin zusätzlich unterrichten.” Ich habe mich gefragt, welchen Bezug Frau Fleischer eigentlich zum Arndt-Gymnasium hatte? Tatsächlich wurde sie im Referendariat unserer Schule zugeteilt. Das hatte auch einen bestimmten Grund. Frau Fleischer hat nämlich einen Sohn und damals hatte sie wegen ihres Kindes Anspruch auf einen Referendariatsplatz an einer Schule in ihrer Wohnregion. Und beim Arndt-Gymnasium ist es dann auch geblieben.

Ein zurzeit in Medien häufig diskutiertes, sehr kontroverses Thema ist die Bereitschaft der Lehrer*innen in der Covid-19 Pandemie zu unterrichten, sei es im SALZH, im HYBRIDUNTERRICHT oder in halber Klassenstärke im PRÄSENZUNTERRICHT. Wie erleben Sie die Pandemie als Lehrerin? “Mich belastet die gesellschaftliche Diskussion unglaublich! Die Strukturierung der Aufgaben im Lockdown ist für uns Lehrer*innen viel zeitaufwendiger als im normalen Unterricht. Das Frustrierende ist vor allem, dass die ganze Arbeit, die hinter der Organisation steckt, überhaupt nicht transparent ist. Emails beantworten, Tests vorbereiten und die Lerninhalte auf ein digitales Format zuschneiden, beansprucht auch das Wochenende. Auch das ständige Auf-den-Laptop-Starren fällt mir zunehmend schwer! Am schwersten aber empfinde ich die Distanz zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen. Durch das Wegfallen der sozialen Kontakte, finden keine persönlichen Gespräche mehr statt. Im Unterricht gibt es generell weniger Energie. Dies finde ich sehr schade!” Man kann also erkennen, dass die Pandemie auch für die Lehrkräfte keine leicht zu stemmende Aufgabe ist und jede/r auf seine/ihre Art und Weise zu kämpfen hat. Falls ihr also mal selbst frustriert seid, weil das Homeschooling nicht so reibungslos wie der Unterricht verläuft, dann habt etwas Nachsicht mit den Lehrer*innen. Viele geben sich große Mühe und investieren sehr viel Zeit in unsere Schulbildung, damit keiner auf der Strecke bleibt.

Als Lehrer*in kennt man das Schulsystem ziemlich gut. Alle Vorteile, aber auch alle Macken, die es hat. Mich interessiert es immer sehr, was die Lehrer*innen persönlich darüber denken und deswegen habe ich Frau Fleischer auch gefragt: Welche Mängel hat das deutsche Schulsystem? Geantwortet hat sie ziemlich schnell: “Zuallererst finde ich die Notengebung wirklich veraltet und unpassend, um den Leistungsstand der Schüler*innen zu beurteilen. Das hat doch nur rein mit Objektivität zu tun und wie ein*e Schüler*in sich im Vergleich zu anderen verhält. Meiner Meinung nach wäre eine Beurteilung, die auf verschiedene Grundkompetenzen, wie z.B. Selbstdisziplin aufbaut, essentiell. Auch muss ich ehrlich sagen, dass ich die Abiturnote als Maß aller Dinge unsinnig finde. Warum muss man für ein Medizin-Studium beispielsweise herausragende Noten haben und für ein Mathe-Studium nicht?” Frau Fleischer erwähnte auch, dass die Schule uns wenig auf das echte Leben vorbereite. Jede*r habe den “gängigen” Plan im Kopf, Jura, Medizin oder BWL zu studieren, anstatt durch Praktika herauszufinden, was einem wirklich Spaß machen könnte. Überhaupt müsse nicht jeder studieren, meint Frau Fleischer. Es gäbe auch andere Möglichkeiten, wie z.B. eine Ausbildung oder eine Lehre in einem handwerklichen Beruf. Der Leistungskurs solle einem Freude bereiten und nicht gewählt werden, um gute Noten zu bekommen. Das eigene Interesse sei für sie das Wichtigste. Doch Frau Fleischer hat mir auch ein konkretes Beispiel genannt, in welchem einige Mängel sehr deutlich werden. “Das deutsche Schulsystem hat im Aufklärungsunterricht an den einzelnen Schulen wirklich noch viel aufzuholen. Schon in meiner Schulzeit ist mir aufgefallen, dass der Unterricht sehr schlecht ausgeführt wird, da die wirklich interessanten und auch relevanten Dinge nicht behandelt werden. Es mag ja ganz nett sein, wenn jede*r Schüler*in im Nachhinein die einzelnen Stadien des Embryos und dessen Entwicklungsprozesse auswendig kann, doch wäre es nicht sinnvoller, Schwerpunkte in den Themenbereichen zu setzen, die im jugendlichen Alter relevant werden? Das Thema Sex wird beispielsweise kaum aufgegriffen und Dinge wie Lust gar nicht erst angeschnitten. Auch vermitteln die Unterrichtenden den Schüler*innen ein völlig falsches Bild; das erste Mal ist nicht gleich perfekt. Was mich wirklich stört, sind die veralteten Schulbuch-Texte; sie sind einfach nicht mehr zeitgemäß! ‘Paul schreibt Lisa einen Liebesbrief, weil er sie gerne mag.’ Warum kann es nicht auch ‘Paul schreibt Simon einen Liebesbrief’ heißen, schließlich ist das Thema Sexualität, Geschlecht und das Finden der eigenen Identität gerade ein sehr aktuelles Thema, das unbedingt Teil des Aufklärungsunterrichts werden sollte. Ich glaube auch, dass das Problem nicht auf die Biolehrer*innen zurückgeführt werden darf. Diese werden praktisch dazu gezwungen, Sexualkunde zu unterrichten, obwohl der Aufklärungsunterricht längst nicht mehr nur einem Fach zugeordnet werden kann.” Ich finde es sehr interessant, was Frau Fleischer erzählt hat, denn auch ich habe den Eindruck, dass der Aufklärungsunterricht an deutschen Schulen wesentlich besser durchgeführt werden könnte und sollte! Sonst kann es zu unerwünschten Folgen kommen, die mangels der richtigen Bildung verursacht wurden.

Die Lehrer*innen kann man sich manchmal als “erwachsene Schülerschaft” vorstellen. Genauso wie im Klassenverbund, wird laut Frau Fleischer wohl auch viel im Lehrerzimmer getratscht; sowohl übereinander als auch miteinander über einzelne Klassen oder sogar Schüler*innen. Wie sich Verhaltensweisen in den einzelnen Unterrichtsfächern widerspiegeln oder ob eine Wesensveränderung zu erkennen ist. Beliebtes Thema sind auch besonders laute oder unbeliebte Klassen. Da wird man als Vertretungslehrer*in auch schon mal von dem ein oder anderen Kollegen vor einer Klasse gewarnt. So existieren bei den Lehrer*innen letztendlich doch auch ähnliche Strukturen, wie in unseren Klassen; witzig, oder?

Haben Sie sich schon mal strafbar gemacht?– Das interessiert euch sicher auch brennend! Sind die Lehrer*innen wirklich so unschuldig, wie sie uns immer predigen? Oder gibt es da doch Geheimnisse aus der Vergangenheit? “Also was verbrochen, habe ich noch nie! Ich wurde zwar schon zweimal geblitzt, aber ich denke, das kann jedem mal passieren. Dann gäbe es da tatsächlich noch eine Sache, die vielleicht nicht ganz so legal war. Ich habe mir ab und zu gerne mal ein stillgelegtes Gebäude angeschaut, das hat mich immer fasziniert. Aber nicht nachmachen, Süßis! :)” Jeder kennt das Gefühl, einen großen Fehler gemacht zu haben, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Gibt es Dinge, die Sie bereuen oder Fehler, die Sie nicht hätten machen sollen? Erstaunlicherweise habe ich zwei von Grund auf verschiedene Antworten bekommen: “Zum einen bereue ich es sehr, nie im Ausland gewesen zu sein. Obwohl ich in der Schule Französisch gelernt habe, sind meine Kenntnisse kaum noch vorhanden, da ich die Sprache einfach verlernt habe. Ich denke, ins Ausland zu gehen, um die Sprache zu festigen, ist eine gute Idee! Zum anderen kann ich euch nur eins raten: Augen auf bei der Partnerwahl, mit denen man Kinder kriegt. Da spreche ich aus eigener Erfahrung.”

Zum Abschluss habe ich Frau Fleischer gefragt, welchen Tipp sie uns Schüler*innen für die Zukunft geben würde. Es war nicht überraschend, dass sie uns ans Herz legt, das zu machen, was uns wirklich Freude bereitet. Manchmal sei der richtige Weg schwer zu finden, aber das Suchen lohnt sich immer!

Luise Dahns, 10a

Frau Fleischer

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