Mit 15 die ganze Verantwortung für seine Zukunft übernehmen – das richtige System?
Mit 15 die ganze Verantwortung für seine Zukunft übernehmen – das richtige System?

Mit 15 die ganze Verantwortung für seine Zukunft übernehmen – das richtige System?

An fast allen Gymnasien Deutschlands wurde zwischen 2012 und 2015 wieder G8, also 12 Jahre bis zum Abitur, eingeführt. Dies wurde damals von den Politikern so begründet, dass die Schulzeit generell doch eher lange wäre und mit G8 könnten die teilweise 17-Jährigen dann früher ihre Berufsausbildung beginnen und wären wettbewerbsfähiger im Vergleich zu Absolventen aus anderen Ländern. Wenn das so ein gutes System sein soll, warum wechseln dann viele Bundesländer, wie z.B. Nordrhein-Westfahlen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, wieder zurück zu G9? Es ist an der Zeit, G8 und generell das Schulsystems Deutschlands zu hinterfragen.

Das, was jetzt folgt, ist meine subjektive Perspektive, die ich aber auch von vielen meiner Mitschüler*innen widergespiegelt bekomme. Ich bin 15 Jahre alt, bin in der elften Klasse und habe Mathematik und Politikwissenschaften als Leistungskurse. Obwohl ich statt Politikwissenschaften als erstes Chemie wählen wollte und es in letzter Sekunde umgewählt habe, bin ich sehr glücklich damit. Ich bin zufrieden mit meinen Noten und mag sowohl das Fach, als auch den Unterricht und komme gut mit. Tatsächlich war das relativ unerwartet, ich sah PW anfangs nicht als Möglichkeit für einen Lk und war sonst auch eher durchschnittlich darin. Wohingegen das in Mathe ganz anders lief: Von der siebten bis zur zehnten Klasse hatte ich immer eine eins auf dem Zeugnis, ich liebte das Fach und war eine der Besten. Wie ist das jetzt? Na ja, ich bin mündlich eher durchschnittlich und schriftlich muss man nicht darüber reden. An diesem Punkt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gebe ich mir keine Mühe mehr darin, oder ich konnte gar nicht wissen, dass es so laufen würde. Den ersten Punkt kann ich widerlegen, ich versuche mich intensiv mit den Themen auseinanderzusetzen und lerne relativ viel vor den Arbeiten. Im Vergleich: Von der siebten zur zehnten Klasse habe ich nie gelernt und hatte trotzdem fast immer eine eins. So bleibt also nur noch die zweite Möglichkeit: Ich konnte es nicht wissen.

Man muss dazu im Hinterkopf behalten, dass wir nach Schulbeginn der elften Klasse eine Woche Zeit haben, um unsere Kurswahl umzuändern. Ich möchte betonen, es geht hier um eine Woche, um zu entscheiden, ob die Fächer, die doppelt in den Abiturschnitt zählen und somit maßgeblich für unsere Zukunft sind, geeignet für uns sind. Dabei wird immer wieder betont, dass das nicht auf den Lehrern basieren dürfe. Entschuldigung?! Eine 15-16-Jährige Person soll sich nach einer Woche, in der die Person vielleicht noch auf Orchesterfahrt oder krank war, entscheiden, ob dies das richtige Fach ist? Das sind 5 Schulstunden, mit wahrscheinlich 3 organisatorischen Stunden davon. Aber Umwahl aufgrund des Lehrers? Wer würde das machen?

An dieser Stelle muss ich an die Schule appellieren: War G8 eine gute Idee? Meine Eltern erzählten mir, dass es bei ihnen früher, natürlich noch G9, eine Orientierungsphase gab. Jene war die elfte Klasse, in der man drei Orientierungskurse wählte, so etwas Ähnliches wie Leistungskurse. Allerdings hatte man damals ein Jahr lang Zeit, um zu entscheiden, ob diese das Richtige für Klasse 12 seien. Ein Jahr! Ich möchte gar nicht erwähnen, dass die Schüler*innen da natürlich schon deutlich älter waren. Ich wachse zwar nicht mit diesem System auf, aber kann mir vorstellen, dass viele Personen unseres Alters damit besser hätten lernen können. Dazu muss man sagen, dass dieses Jahr quasi prädestiniert dazu war, um einen Auslandsaufenthalt zu machen. Dieses Privileg haben die jetzigen Schüler*innen leider nicht mehr, weshalb ein solcher Aufenthalt im Ausland vielen, auch aus Angst, alles zu verpassen, verwehrt bleibt.

Außerdem sind für viele junge Leute Hobbys wichtig und spielen eine entscheidende Rolle im Alltag. Abgesehen davon, dass z.B. Sport essentiell für die Gesundheit ist, ist es viel schwieriger, im Alter von über 20 ein Hobby anzufangen, als beispielsweise mit sechs Jahren. Da aber die Schule so viel Zeitaufwand benötigt, müssen einige der Schüler Platz schaffen und hören so mit ihren Hobbys auf. Das könnte später zum Bedauern vieler führen, die gerne einen weiteren Zeitvertreib, wie z.B. Sport hätten.

Unterhalte ich mich mit meinen Freunden und Freundinnen, merkt man sofort die Überforderung, die fast alle teilen. Nur sehr wenige berichten nicht über eine dem-Burn-Out-ähnliche Situation und klagen nicht über zu viel Stress. Erstens haben viele Leute unseres Alters andere mentale Probleme und können nicht auch noch die stressgeladene Schule ertragen und zweitens benutzt jede*r, die/den ich kenne, die Bulimie-Taktik. So nennen wir das Lernen auf Kurzzeitgedächtnis, das durch den ganzen Stress oft als letzte Option übrig bleibt. Ich möchte nicht sagen, dass das früher nicht so war, aber zumindest wird dieses durch G8 verstärkt. Vorteil daran: Man kann die Sachen am nächsten Tag meistens. Nachteil: Nach der Arbeit löscht sich der gelernte Stoff ebenso schnell, wie man ihn gelernt hat. Ob das der Sinn der Schule ist, muss jeder für sich selbst überlegen. Durch die 13 Jahre Schule würde sich das Problem vereinfachen. Da der Schulstoff für 2 auf 3 Jahre verteilt werden würde, gäbe es wahrscheinlich eine effektivere Lernkurve und weniger gestresste Schüler*innen.

Um noch mal meine eigene Situation zu verdeutlichen: Ich habe in zwei Matheklausuren schlecht abgeschnitten und mündlich bin ich auch nicht herausragend. Da ich unbedingt Medizin studieren und deshalb nach Möglichkeit einen 1,0 Abiturschnitt haben möchte, überlege ich gerade ernsthaft, das Jahr zu wiederholen, um das zu erreichen. Ich setze mich unter Druck und habe ständig das Gefühl, meine Zukunft verbaut zu haben. Das alles, wegen einer schlechten Leistungskurswahl, die ich mit 15 treffen musste. Meiner Meinung nach muss das echt nicht sein und ist zudem vermeidbar, z.B. mit der Einführung von G9.

Abschließend möchte ich noch einmal ein anderes Beispiel nennen: Obwohl ich im Allgemeinen kein Fan des Schweizer Schulsystems bin, könnten wir dennoch eine Sache übernehmen. Dort ist das Studienfach nämlich nicht durch den Abiturschnitt geregelt, sondern durch die Noten, die man im jeweiligen Studienfach hat. In der Praxis sieht das so aus: Jeder Studiengang ist nicht durch den Numerus Clausus gedeckelt, sondern der Student/ die Studentin muss je nach Eignung im jeweiligen Fach das Studium abbrechen, falls er/ sie zu schlecht ist. So zählen die Noten, die man im Wunschfach erreicht hat und nicht diejenigen, die man in eventuell falsch gewählten Fächern in der Schule erzielt. Sagen meine Noten in Mathe wirklich etwas darüber aus, ob ich eine gute Ärztin werden könnte?

Es ist an der Zeit, das deutsche Schulsystem zu überdenken und anschließend zu reformieren. Es gibt viele Punkte, die im deutschen Schulsystem nicht ideal laufen und von Experten schon lange kritisiert werden. Trotzdem wird nichts geändert. Lieber Senat, liebes Deutschland, warum?

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